Martin Kiesel ist Facharzt für Allgemeinmedizin mit Zusatzbezeichnung Homöopathie und betreibt seit 2005 eine Kassenpraxis in Berlin. Zuvor war er 14 Jahre Anästhesist in einem Berliner Krankenhaus. Kiesel ist Mitglied des Weiterbildungsausschusses VI der Berliner Ärztekammer und vertritt dort die Interessen der homöopathisch tätigen Ärztinnen und Ärzte.

Wie sieht die Weiterbildung Homöopathie aus?

Es gibt zwei Ausbildungswege, die aufeinander aufbauen: Die Zusatzbezeichnung Homöopathie der Ärztekammer und das Homöopathie-Diplom des DZVhÄ. Die Zusatzbezeichnung qualifiziert Ärztinnen und Ärzte für eine gute homöopathische Behandlung ihrer Patienten. Diese Weiterbildung wird berufsbegleitend durchgeführt und ist in der Weiterbildungsordnung der einzelnen Landesärztekammern inhaltlich festgelegt – sie dauert rund anderthalb Jahre und wird mit einer Prüfung bei der Ärztekammer abgeschlossen. Darüber hinaus geht die Diplom-Ausbildung des DZVhÄ – das Wissen wird vertieft und in weiteren anderthalb Jahren intensiviert. Einige gesetzliche Krankenkassen fordern für die Teilnahme an den Selektivverträgen Homöopathie das Diplom als weiterreichende Qualifikation. Das Diplom gilt für 5 Jahre und wird dann erneut ausgestellt, wenn 100 Stunden homöopathische Fortbildungen erbracht wurden.

…und wann kann die Weiterbildung begonnen werden?

Voraussetzung für den Beginn der Weiterbildung zur Zusatzbezeichnung ist die Approbation. In den meisten Bundesländern muss für das Erlangen der Zusatzbezeichnung eine abgeschlossene fachärztliche Ausbildung vorliegen. In Berlin und Bayern kann bis zur neuen Weiterbildungsordnung die homöopathische Zusatzbezeichnung nach 2 Jahren klinischer Arbeit erlangt werden. Es kann also nach der Approbation mit der Weiterbildung begonnen werden, für die offizielle Anerkennung bedarf es dann aber den Facharzt bzw. die klinische Tätigkeit.

Das heißt, dass alle homöopathische Ärzte Fachärzte sind und sie eine mindestens 10-jährige medizinische Ausbildung absolviert haben, bevor sie die Homöopathie ausüben dürfen?

Genau – wir sind also bestens ausgebildete Mediziner und erhalten mit der Homöopathie eine weitere Therapieoption, die uns über den Tellerrand der konventionellen Medizin blicken lässt.

Sind Sie mit dem Curriculum der Zusatzbezeichnung Homöopathie zufrieden?

Der bisherige Lehrumfang stellt aus meiner Sicht eine gute Basis dar. Ich würde mir aber wünschen, dass die Lehrinhalte umfangreicher und somit fundierter wären. Wir haben hier in Berlin vom Weiterbildungsausschuss bei der Ärztekammer eine Ausweitung von 100 auf 300 Stunden Fallseminare beantragt – das wäre das Niveau des Homöopathie-Diploms. Dies muss jetzt noch von den Gremien und letzten Endes von den Delegierten befürwortet werden.

„Es ist eine Tatsache, dass Homöopathie vielen Menschen hilft. Wichtig ist, dass es jemand macht, der weiß, wann sie nicht mehr helfen und dann auf normale schulmedizinische Verfahren umsteigen kann. Ich sehe die Homöopathie als eine komplementäre Medizin. In Verbindung mit guter medizinischer Ausbildung macht das Sinn.“ Prof. Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK) bis Mai 2019

…und wenn eine Ärztekammer die Zusatzbezeichnung Homöopathie nicht akzeptiert und sie somit auch nicht vergibt – was bedeutet das für Ärztinnen und Ärzte?

Zunächst einmal, dass in diesem Bundesland Kollegen die Zusatzbezeichnung Homöopathie nicht mehr erlangen können, da die Ärztekammer dort keine Prüfung abnimmt. Das heißt aber auch, dass für ärztliche Fortbildungen im Bereich Homöopathie keine ärztlichen Fortbildungspunkte vergeben werden. Die ärztliche Homöopathie wird es sehr schwer haben in der gesetzlichen Krankenversicherung und nur noch von Menschen genutzt werden, die es sich leisten können, sollten die Verträge mit den Krankenassen wegfallen.

Sind Vertreter des BVhÄ eigentlich auch in der Berliner Ärztekammer aktiv?

Ja, wir sind seit etwa 20 Jahren in einem Weiterbildungsausschuss der Berliner Ärztekammer aktiv. Einmal im Monat treffen wir uns mit Kollegen aus anderen Fachgebieten in der Kammer und setzen uns für eine fundierte ärztlich-homöopathische Weiterbildung ein. In dem Gremium herrscht der Homöopathie gegenüber eine sehr kollegiale und offene Stimmung.

Wo wird die Weiterbildung Homöopathie angeboten?

Die Weiterbildung wird in unserer Region vom Berlin Brandenburger Verein homöopathischer Ärzte angeboten, der Veranstaltungskalender befindet sich auf der Vereins-Webseite. Das überregionale Angebot und viele weitere Informationen zu diesem Thema stellt unser Bundesverband DZVhÄ zur Verfügung.

Wie würden Sie Kollegen von der Homöopathie überzeugen?

Ich würde ihnen Beispiele aus meiner hausärztlichen Praxis erzählen. Ich bin seit 22 Jahren Arzt mit einer langjährigen klinischen Erfahrung und seit 15 Jahren als Allgemeinmediziner hier in Wilmersdorf niedergelassen. Bei jedem Patient stelle ich fest, wie weit ich bei einzelnen Diagnosen mit der konventionellen Medizin komme. Parallel schätze ich ein, ob die Homöopathie eine gute und sinnvolle Ergänzung sein kann, um sie dann als Behandlung anzubieten.

Ist die Zusatzbezeichnung Homöopathie für Patienten eine Orientierung?

Ja, auf jeden Fall. Wenn auf dem Praxisschild oder auf der Praxis-Webseite die Bezeichnung Homöopathie steht, dann hat der Patient die Gewissheit, dass der Arzt auch eine entsprechende Weiterbildung absolviert hat. Sie bietet den Patienten auch Schutz vor Wildwuchs, denn der Begriff Homöopathie ist auf dem Schild bei Ärzten geschützt. Gäbe es keine durch die Ärztekammer anerkannte Weiterbildung Homöopathie, dann könnte jeder mit dem Begriff Homöopathie werben und dies wäre für die Patienten von großem Nachteil. Übrigens gilt dasselbe für Ärzte, die selber nicht integrativmedizinisch erfahren sind: auch sie wissen, dass die Patienten gut bei den Kollegen aufgehoben sind.