Berlin, 23. Oktober 2020. Dr. Sonia Seddighi ist Iranerin und lebt seit über 40 Jahren in Deutschland. Hier hat sie Medizin studiert, ist Fachärztin für Allgemeinmedizin und führt die Zusatzbezeichnungen Naturheilverfahren, Homöopathie und Psychotherapie. Seit 19 Jahren ist Dr. Seddighi niedergelassen, zuvor hat sie in verschiedenen Kliniken gearbeitet.

Warum wollten Sie Ärztin werden?

Den Wunsch, Ärztin zu werden hatte ich bereits als junges Mädchen. In meiner Familie gab es Ärzte, sie waren meine Vorbilder. Ich habe also meinen Traumberuf erlernt und selbst nach so vielen Jahren in der Praxis hat die Begeisterung nicht nachgelassen.

… und warum haben Sie noch Homöopathie erlernt?

Ich bin bereits während meines Medizinstudiums mit der Homöopathie in Berührung gekommen. Je mehr ich mich damit beschäftigte, desto mehr wuchs mein Interesse. Der geniale Gedanke, was energetisch und dynamisch gestört ist, kann nur energetisch und dynamisch wieder hergestellt werden, begeisterte mich. Die Individualisierung der Symptome der Krankheiten und die Behandlung der Patienten nach Ähnlichkeitsprinzipien und die Auswahl der Arzneimittel nach individuellen Symptomen überzeugten mich. Mir scheint logisch und überzeugend, dass nicht jeder Patient, der zum Beispiel unter Migräne leidet, das gleiche Mittel bekommt. So wie jeder Fingerabdruck einmalig ist, so einmalig sind die Menschen in ihrem Wesen und ihren Krankheiten und einmalig müssen sie behandelt werden.

Wie ergänzen sich homöopathische und konventionelle Medizin?

Sehr gut. Ich behandele Patienten sowohl konventionell als auch homöopathisch. Nicht alle Patienten kann man jedoch homöopathisch behandeln, etwa Patienten mit arterieller Hypertonie, beim Zustand nach einem Herzinfarkt oder mit Infektionen, die antibiotisch behandelt werden müssen, wenn Homöopathie nicht weiterhilft. Daher ist es von großem Vorteil, wenn der Homöopath eine gute medizinische Ausbildung hat.

Sie machen also auch eine konventionelle Diagnostik?

Ja, wie jede allgemeinmedizinische Praxis mache auch ich konventionelle Diagnostik und Behandlung. Zu mir kommen aber auch oft Patienten, die ihre konventionelle Diagnose oder Verdachtsdiagnose schon haben, die austherapiert sind und daher homöopathisch behandelt werden möchten. In der homöopathischen Anamnese entdeckt man sehr viel von dem Menschen. Die Anamnese ist wie eine Entdeckungsreise durch Körper, Geist und Seele des Patienten. Hier kommen viele Symptome zum Vorschein, die selbst dem Patienten bis dahin fremd oder nicht bewusst waren und die so mitbehandelt werden.

Was sind das für verborgene Symptome, die zum Vorschein kommen?

Zum Beispiel Psychosomatosen, also organische Erkrankungen, bei deren Entstehung und Verlauf psychische Faktoren eine wichtige Rolle spielen. Das sind etwa Darmerkrankungen, Morbus Crohn, Colitis Ulcerosa, Neurodermitis, Asthma Bronchiale, Migräne oder somatoforme Störungen, bei denen keine organische Erkrankungen vorliegen, obwohl der Patient unter körperliche Beschwerden leidet.

Ein Beispiel: Ein Patient kommt mit einer Neurodermitis in die Sprechstunde. Durch eine ausführliche Anamnese stellt sich heraus, dass sich hinter dieser Krankheit psychische Störungen verbergen, wie Ängste, also ein Ko-Faktor der Haupterkrankung. Das trifft auch auf  andere Krankheiten zu. Wir haben also die Chance, in der homöopathischen Anamnese diese verborgenen Erkrankungen zu erkennen und zu behandeln, oder die Patienten zu einem Fachkollegen zu schicken. Dadurch besteht die Möglichkeit, die Chronifizierung dieser Krankheiten zu verhindern.

Welche Patienten kommen überwiegend zu Ihnen?

Patienten mit chronischen oder akuten Erkrankungen wie Migräne, Kopfschmerzen, Neurodermitis und weitere Hauterkrankungen, chronische, entzündliche Darmerkrankungen, Reizdarmsyndrom, Heuschnupfen, Allergien, Depressionen und Schlafstörungen.        

Eine  homöopathische Anamnese braucht Zeit. Wie funktioniert das in Ihrer Kassenpraxis?

Es ist nicht einfach. Man braucht für jeden Patienten weit mehr Zeit als in der konventionellen Medizin. Dennoch bin ich froh, dass so auch Kassenpatienten homöopathische Behandlungen in Anspruch nehmen können, im Gegensatz zu früher, als Homöopathie nur Privatpatienten und Selbstzahlern zur Verfügung stand.

Wenn man jetzt in der Kategorie von Homöopathie-Gegnern denkt, sind homöopathische Arzneien dann so eine Art Wunderplacebo?

Wenn man Patienten, die zum Beispiel Jahre lang unter Migräne gelitten haben, von ihren Schmerzen befreien kann, was eine enorme Besserung der Lebensqualität bedeutet, und wenn die Patienten ohne Schmerzmittel auskommen können, dann ist das etwas Wunderbares, worüber sowohl Patienten als auch Ärzte glücklich sein können. Wer diese Erfolge miterlebt hat, wird die Homöopathie immer schätzen und lieben. Wenn man das alles allein durch Placebo erreichen kann, dann ist Placebo ein Wundermittel in der Medizin. Allerdings: Wenn ein nicht passendes Mittel verordnet wird, wird es auch nicht zum Super-Placebo werden.

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Wir hatten auch Gelegenheit uns mit Patienten von Frau Dr. Seddighi in Berlin zu treffen. Diese Interviews lesen hier

Das Gespräch führte Christoph Trapp